Sei der Wandel, den Du in Deinem Unternehmen sehen willst

Ein Interview von Ibi Thomson mit Dr. Karin Stumpf

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Frau Stumpf, Sie haben vor kurzem »Die Reise des Herrn Schmidt« veröffentlicht. Was hat Sie zu diesem Buch motiviert?

Ich habe in den letzten 20 Jahren mit Führungskräften rund um den Erdball zusammengearbeitet. Dabei ist mir aufgefallen, dass wir dazu neigen, immer wieder ähnliche Fehler zu machen. Die häufigste Fehlannahme ist, dass eine Führungsperson ein Unternehmen im Alleingang umkrempeln kann. Als ich nach Literatur suchte, die Managern und Direktoren helfen könnte, Ihre Unternehmen besser durch Umstrukturierungen zu führen, fand ich entweder »fachtechnische« Lehrbücher für Experten oder locker geschriebene Parabeln, die zwar die Notwendigkeit von Veränderungen deutlich machten, aber nicht darauf eingingen, wie man dabei am besten vorgeht. Diese Lücke wollte ich mit »Die Reise des Herrn Schmidt« schließen.

In Ihrem Buch kombinieren Sie die Geschichte des Herrn Schmidt, der den Auftrag erhält, Teile seines Unternehmens auszugliedern, mit praktischen und strukturierten Anleitungen für Veränderungsinitiativen in Unternehmen. Die Erlebnisse des Herrn Schmidt vermitteln einen guten Eindruck von den Problemen, vor denen meine Klienten stehen. Warum haben Sie diese Form gewählt?

Ich hatte beim Schreiben immer meine Klienten im Hinterkopf: hart arbeitende, vielbeschäftigte Manager. Das Buch sollte leicht lesbar und nicht zu umfangreich sein (man sollte es während eines Fluges von Europa nach Amerika lesen können) und Geschichten enthalten, die meinen Lesern Anknüpfungspunkte boten. Mein Arbeitstitel lautete »Die transformative Reise des Herrn Schmidt«, wobei ich bei Herrn Schmidt an einen klassischen globalen Topmanager dachte. Also beschloss ich, jedes Kapitel mit einem Teil der fiktionalen Geschichte des Herrn Schmidt zu beginnen und anschaulich zu machen, was bei einer Veränderungsinitiative so alles schief (oder gut) gehen kann.

Sie sprechen von einer adaptiven Methodik, die drei Phasen vorsieht. Könnten Sie das kurz darstellen und erläutern, warum Sie diese Methodik für wichtig halten?

Veränderungen in einem Unternehmen umzusetzen ist ein langwieriger und komplexer Prozess. Meine Aufgabe als Beraterin besteht darin, diesen Prozess überschaubarer zu gestalten. Die Aufteilung in drei Phasen trägt dazu bei, dass die Führung ihre Energien zielgerichteter bündeln kann. Jede Phase konzentriert sich auf eine andere Stakeholder-Gruppe, denn jede dieser Gruppen stellt andere Anforderungen und hat andere Erwartungen. Das war bei jedem Projekt so, an dem ich mitgearbeitet habe. Was die Unternehmen voneinander unterscheidet, sind ihre strategischen Ziele, ihre Größe, ihre Kultur und so weiter. Deshalb braucht man eine Methodik, die sich daran anpassen lässt. Man kann nicht alle Unternehmen über denselben Kamm scheren. Ich gebe den Führungskräften Leitlinien vor, erinnere sie aber auch daran, dass sie ihre Unternehmen am besten kennen und ihr Wissen dazu nutzen müssen, die geplanten Veränderungen umzusetzen.

Können Sie zu den drei Phasen etwas mehr sagen? Was sind das für Phasen? Um welche Stakeholder-Gruppen geht es jeweils und warum?

1. Jedes Veränderungsprojekt beginnt mit der Mobilisierung der wichtigsten Stakeholder. Das sind Personen, die über die Macht verfügen, dem Projekt zum Erfolg zu verhelfen, indem sie entweder ein Budget oder Ressourcen zur Verfügung stellen. Die wichtigsten Aktivitäten in dieser Phase konzentrieren sich darauf, die verschiedenen Visionen unter einen Hut zu bringen. Erst dann ist man in der Lage, sein Veränderungsprojekt zu planen.

2. Wenn man über die Ressourcen verfügt, kann man anfangen, innerhalb des Unternehmens Menschen zu bewegen, den Veränderungsprozess zu unterstützen. Man muss damit beginnen, die neue Organisation zu entwerfen, und dabei auf die betroffenen Gruppen zugehen und sie in diesen Prozess mit einbeziehen. Dabei geht es auch darum, dass sich diese Gruppen den Prozess zu eigen machen und die anstrebten Strukturen unterstützen.

3. Sobald klar ist, wie die neue Organisation aussehen soll, ist die Zeit gekommen, das neu abgesteckte Terrain zu gewinnen und mit Leuten zu besetzen. An diesem Punkt macht sich die Arbeit bezahlt, die man in die Mobilisierung der Stakeholder gesteckt hat: Es wird sich Widerstand regen, aber man muss ihn nicht alleine überwinden. Die Umsetzung der Veränderungen wird schließlich die ersten Früchte abwerfen und ermöglichen, den Erfolg zu messen.

Acrasio Leading Business Change Model
Acrasio Leading Business Change Model

Viele bekannte Studien zeigen, dass 70 Prozent aller größeren Veränderungsinitiativen scheitern (McKinsey, BCG). Im Verlauf der Geschichte des Herrn Schmidt zeichnen sich seine Fehler recht deutlich ab. Worauf kommt es für Führungskräfte besonders an, die mit der Durchführung von Veränderungsprojekten betraut werden?

Zuhören
Der größte Fehler, den man bei einem Veränderungsprojekt machen kann, ist Veränderungen zu erzwingen. Widerstand wird es immer geben, aber Kritik enthält auch immer wertvolle Informationen, Erfahrungen und Erkenntnisse. Wenn man diese konstruktiven Elemente findet und sie bei der Umsetzung der Veränderungen berücksichtigt, steigen die Erfolgschancen immens. Entscheidend dafür ist, dass man gut zuhören kann.

Keine Alleingänge
Der zweitgrößte Fehler ist, alles alleine zu versuchen. Ein Veränderungsprojekt übersteigt die Leistungsfähigkeit einer einzelnen Person. Es ist ungemein wichtig, die Verantwortung auf alle relevanten Bereiche der Organisation zu verteilen. Je mehr Leute sich vor den Wagen des Projekts spannen lassen, desto geringer ist das Risiko des Scheiterns.

Nicht alles über einen Kamm scheren
Und schließlich sollte niemand den Fehler machen, sich auf ein Standardverfahren zu verlassen. Dabei besteht die Gefahr, dass die Mitarbeiter nicht das Gefühl haben, die Methodik – und damit auch das gesamte Veränderungsprojekt – zu beherrschen. Es ist besser, auf das in der Organisation angesammelte Wissen zu vertrauen und den Veränderungsprozess an die Bedürfnisse des Unternehmens anzupassen: Das ist der Weg zum Erfolg.

Ich weiß, dass ein großer Teil Ihrer Erfahrungen der Zusammenarbeit mit einigen der größten globalen Unternehmen entspringt. Glauben Sie, dass bei kleinen und mittleren Unternehmen dieselben Fehlerquellen eine Rolle spielen?

Im Prinzip sind die eben erwähnten möglichen Fehler auch für kleine und mittlere Unternehmen relevant. Am wichtigsten scheint mir hier jedoch der letzte Aspekt. Wenn Sie mal in andere Bücher zum Thema Veränderungsmanagement schauen, werden Sie sehen, dass die Standard-Methoden sehr viel Aufwand verlangen und jede Menge Ressourcen verbrauchen. Das können kleinere Unternehmen sich nicht leisten. Sie sind darauf angewiesen, die jeweilige Methodik einfacher und überschaubarer zu machen. Man muss den Prozess ja nicht komplizierter
machen als nötig. Wenn man beispielsweise drei Aufgabenbereiche verändern will, reicht es eigentlich aus, mit den betroffenen Mitarbeitern zu reden.

Ich hoffe, ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass Herr Schmidt aus seinen Fehlern gelernt hat und weit besser darauf vorbereitet ist, zukünftige Veränderungsinitiativen zu leiten. Was sind seine wichtigsten Erfahrungen?

Er hat gelernt, um Unterstützung zu bitten, weil er nicht in der Lage war, alle Bereiche des Veränderungsprojektes selbst zu steuern. Er hat auch erkannt, wie wichtig es ist, alle Betroffenen zu beteiligen, sich ihre Kritik anzuhören und von ihrem Wissen zu profitieren. Angesichts der zahlreichen auftauchenden Probleme musste er akzeptieren, dass es immer wieder negative Entwicklungen gibt. So ist das nun einmal bei langfristig angelegten Veränderungsprojekten. Sicher war es eine große Herausforderung für ihn, in turbulenten Zeiten die Ruhe zu bewahren. Vor allen Dingen aber hat er gelernt, auf seine Frau zu hören.

Unsere Return-on-Interim-Methodik bei Interim Partners gründet darauf, gemeinsam festzulegen, wie ein erfolgreiches Ergebnis aussieht, und dann die Leistung entsprechend zu überwachen. Für uns ist das wichtigste Mass des Erfolgs der wirtschaftliche Wert. Wie definieren Sie Erfolg?

Jede Reise beginnt damit, dass man definiert, was man will und wohin man sich bewegt. Leistungskenzahlen (KPIs) sind ein wichtiges Tool für die Zielbestimmung. Ähnlich wie bei Ihrem Return-on-Interim-System bitte ich meine Klienten, nachdem sie sich über ihre Vision klargeworden sind, ihre Ziele und Leistungskennzahlen zu definieren. Aber allzu oft wird beides irgendwann zur Seite gelegt und fast vergessen. Mitten im Projekt wird dann manchmal klar, dass man die Ziele nicht erreichen wird, aber das ist in Ordnung, solange man offen ist für die Gründe und die Zahlen entsprechend anpasst. Nicht hilfreich ist es, wenn man bis kurz vor Schluss nicht mehr an sie denkt. Aber Zahlen sind nur die eine Seite; die Wahrnehmung ist beinahe genauso wichtig. Erfolg wird oft aus der Perspektive der anderen gesehen. Und die anderen neigen dazu, das Negative wahrzunehmen. Es ist also wichtig, immer die positiven und die negativen Aspekte der Veränderungen zu kommunizieren. Die ehrlichste und aufschlussreichste Antwort auf die Frage nach dem Erfolg eines Veränderungsprojekts erhält man jedoch erst, wenn man zwei Jahre später nachfragt: Funktioniert das Ganze (werden die neuen Prozesse genutzt)? Und haben Sie (als Organisation und als Person) etwas für zukünftige Projekte gelernt? Wenn diese beiden Fragen mit Ja beantwortet werden können, würde ich von einem Projekterfolg sprechen.

Welchen Rat würden Sie jemandem geben, der mit einem Veränderungsprojekt betraut wurde?

Gandhi hat einmal gesagt: »Sei der Wandel, den Du in der Welt sehen willst«. Für ein Unternehmen würde ich das so umformulieren: »Sei der Wandel, den Du in Deinem Unternehmen sehen willst.« Die Funktion einer Führungsperson ist zunächst einmal, Vorbild zu sein. Darüber hinaus muss sie gut in beide Richtungen kommunizieren können und bereit sein zuzuhören. Veränderungen positiv vorantreiben bedeutet auch, regelmäßig die betroffenen Mitarbeiter aufzusuchen. Man muss vermitteln, wenn man auf Widerstände stößt, motivieren, wenn Hindernisse auftauchen und klare (sprich: unpopuläre) Entscheidungen treffen, um das Projekt voranzubringen. Man muss sich selbst antreiben, seinen inneren Schweinehund überwinden, aber langfristig wird man daran wachsen und eine bessere Führungsperson werden!

[Dr. Karin Stumpf wurde von Ibi Thomson von InterimPartners über Faktoren, die über Erfolg oder Misserfolg von Veränderungsprojekten entscheiden interviewt. Das ursprünglich in Englisch geführte Interview erschien zuerst auf der Website von InterimPartners unter www.interimpartners.com.]

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